Die Lumdatalbahn soll bald wieder fahren. Endlich eine gute Schieneninvestition für den ländlichen Raum? Wir stellen die zu reaktivierende Strecke sowie die Organisationsformen, die sich seit Jahrzehnten um die Pflege der derzeit meist nicht befahrenen Strecke kümmeren, vor.
Allgemeines & Geschichtliches
Mit dem Wort Lumdatalbahn bezeichnet man die Eisenbahnstrecke zwischen Lollar und Grünberg im Teilraum Nord des Landkreises Gießen. Der Abschnitt zwischen Lollar und Rabenau-Londorf wurde bis zum 30. Mai 1981 regelmäßig von Personenzügen befahren. Die Bahntrasse ist eingleisig, nicht elektrifiziert und verläuft entlang des Flüsschens »Lumda«.
Zurzeit gliedert sich die Strecke in zwei Abschnitte: Der Abschnitt Lollar – Rabenau/Londorf ist eine öffentliche Eisenbahninfrastruktur und in zwei Schritten stillgelegt worden. Zuletzt per Datum 31. Dez. 2016 der Teil zwischen Lollar und Staufenberg/Mainzlar (Anschluss Didierwerke). Auf diesem Teil belieferten Güterzüge die in Mainzlar ansässigen Didierwerke. Auch fanden auf diesem Abschnitt bis Ende 2016 regelmäßig Sonderfahrten mit unterschiedlichen Schienenfahrzeugen statt. Seit Januar 2017 ist auch dieser Streckenteil stillgelegt. Der Abschnitt Staufenberg/Mainzlar bis Rabenau/Londorf ist seit Spätsommer 1990 ohne Güterverkehr und formal seit 01.April 1991 betreiberlos.
Die Lumdatalbahn wird seit Frühjahr 1993 ohne kommerzielle Ziele durch überwiegend ehrenamtliche Arbeit gepflegt. Daher sieht die Strecke an einigen Stellen noch so aus, als wäre hier gestern erst der letzte Zug gefahren. Die Arbeiten der Vegetationspflege dienen der Kostenreduktion im Rahmen einer neuen NKU sowie einem positiven Erscheinungsbild in den Kommunen.
Der Personenverkehr auf dem Abschnitt Londorf bis Grünberg wurde bereits am 29. Mai 1963 eingestellt. Der Rückbau dieses Streckenabschnitts erfolgte bereits 1965. Heute dient dieser Abschnitt teilweise als Lumda-Wieseck-Radrundweg.
Der lange Weg zur Reaktivierung
Die erste Untersuchung zu einer möglichen Reaktivierung der Lumdatalbahn wurde bereits zu Beginn der 1990er Jahre und damit vor der Bahnreform erstellt. Die Lumdatalbahn AG war eine als Aktiengesellschaft organisierte Reaktivierungsinitiative, die die Wiederaufnahme des Betriebes durch Übernahme der Eisenbahninfrastruktur anstrebte. Als sie von interessierten Bürgern gegründet wurde, gingen diese davon aus, dass eine Übernahme der Infrastruktur durch ein regionales Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen eine deutlich bessere Ausgangsposition für den Reaktivierungsprozess schüfe. Die Lumdatalbahn AG wurde inzwischen aufgelöst, nachdem sie ihr Kapital über ca. zwei Jahrzehnte in den Streckenerhalt und die gutachterliche Begleitung des Reaktivierungsprozesses gesteckt hatte.
Auch zwei Bahnsteige am damals noch betriebenen Streckenabschnitt Lollar–Mainzlar für den Sonderverkehr wurden maßgeblich durch das Geld der Lumdatalbahn AG und durch ehrenamtliche Arbeit erstellt. Die verkehrspolitische Arbeit der Lumdatalbahn AG hat der Verein Lumdatalbahn e. V. mit heutigem Sitz in Allendorf (Lumda) übernommen. Der Verein kümmert sich darüber hinaus auch um die Erhaltung des Kulturguts Eisenbahn im Lumdatal.
Für das Lumdatal wurden in den Jahren 2017 und 2018 entscheidende Weichen gestellt, so dass Anfang 2019 die Vergabe eines Detailauftrages erfolgen konnte. Hessens grüner Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir hat eine Beteiligung des Landes an den Reaktivierungskosten der Lumdatalbahn in Aussicht gestellt und dem Landkreis Gießen die Aufnahme der Vorplanung empfohlen.
Die Empfehlung war die Voraussetzung dafür, dass der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) sich mit Fördermitteln an der Planung beteiligt. Insbesondere müssen dabei die konkreten Investitionskosten ermittelt werden. Als besonderen Nutzen haben die Gutachter eine Verlängerung der Reiseweiten bei den künftigen Bahnpendlern herausgestellt. Im Klartext heißt das, Menschen werden im Lumdatal wohnen, weil sie per Bahn in annehmbarer Zeit einen attraktiven Arbeitsplatz erreichen können. Gleiches gilt für Freizeitangebote, etwa im Rhein-Main-Gebiet oder umgekehrt. Des Weiteren profitieren Studenten und Schüler in hohem Maße ebenso wie ältere Menschen und Menschen mit Handicap.
Am 6. September 2018 hat der Kreistag des Landkreises Gießen einstimmig beschlossen, den Planungsprozess für die Lumdatalbahn Lollar-Rabenau/Londorf zu beginnen. Konkret geht es um die beiden ersten Stufen eines insgesamt vierstufigen Planungsprozesses bis zur Baureife.
Was genau ist geplant?
Die Lumdatalbahn soll als eingleisige Strecke von einem Pendelzug im Stundentakt befahren werden. Der Ausbau für einen Halbstundentakt würde deutlich höhere Investitionen für einen Begegnungsbahnhof erfordern. Der Fahrplan kann so zwar nicht verdichtet werden, bei Bedarf wird aber ein längerer Zug zum Einsatz kommen.
Was zunächst wie ein Nachteil der aktuellen Planung aussieht, eröffnet jedoch die Chance auf eine optimale Arbeitsteilung für Bahn und Bus. Denn der Bus wird auch künftig mit einem angepassten Fahrplan umsteigefreie Verbindungen aus den Ortsteilen von Rabenau, Allendorf (Lumda) und Staufenberg nach Gießen bieten.
Der Vorteil der Bahn liegt in ihrer deutlich kürzeren Fahrzeit und in den schnellen Umsteigeverbindungen, zum Beispiel nach Frankfurt, Marburg und Wetzlar. Darüber hinaus wird die Gießener Innenstadt an der Station Gießen-Oswaldsgarten zügig erreicht. Für das Lollarer Baugebiet Lumdaniederung bedeutet die neue Station Lollar-Nord einen direkten ÖPNV-Anschluss im hochwertigen Schienenverkehr.
Der Stand des Reaktivierungsprozesses im Januar 2021
Eine konkrete Kostenschätzung für die Reaktivierung der Lumdatalbahn, verbunden mit einer realistischen Neubewertung der „Haben-Seite“ bei Nutzen-Kosten-Untersuchungen für Bahnstrecken im ländlichen Raum – diesen Wunsch äußerten Aktiven des Lumdatalbahn e.V. gemeinsam mit politisch Verantwortlichen aus der Region seit 2018 wiederholt und vehement. Seit November 2020 herrscht zumindest bei den Kosten für die Bahnreaktivierung ein Stück weit Klarheit. Besser noch: Die Botschaft, dass ländliche Bahnstrecken andere Bewertungskriterien im Rahmen standardisierter Nutzen- Kostenuntersuchungen benötigen als Ballungsraumstrecken, scheint im Berliner Verkehrsministerium angekommen zu sein. Zu beiden Themen informierte eine Pressekonferenz am 10.11.2020 mit Gießens Landrätin Anita Schneider.
Seit 2012 laufen vertiefende Untersuchungen zur Reaktivierung der Lumdatalbahn von Lollar nach Rabenau-Londorf. Begonnen hat der aktuelle Untersuchungs- und Planungsprozess mit einer Vorstufenuntersuchung des Büros IGDB, zu deren Finanzierung noch die mittlerweile aufgelöste Lumdatalbahn AG beigetragen hatte. 2016 wurde der Untersuchungsprozess vorläufig abgeschlossen mit dem Ergebnis, dass die Lumdatalbahn im Stundentakt unter Beibehaltung einer parallelen Buslinie prinzipiell förderfähig ist. Es wurde der formale Planungsprozess eingeleitet. Heute sind zwei von vier Planungsstufen abgearbeitet. Am Ende der Planungsstufe II steht eine umfassende Bestandsaufnahme, verbunden mit einer schon sehr konkreten Kostenanalyse.
Eine gute Investition: Baukosten & Nutzen-Kosten-Untersuchungen
Die Ergebnisse wirken auf den ersten Blick wenig ermutigend, müssen aber im Zusammenhang gesehen werden einerseits mit dem fortschreitenden Verfall der Strecke und andererseits mit dem geschärften Blick auf den Nutzen von Bahnstrecken im ländlichen Raum in Zeiten von Klimawandel, demographischem Wandel und dem erklärten Willen, die Provinz als bezahlbaren Lebensraum wieder stärker ins Visier zu nehmen.
Die Baukosten verdreifachen sich ungefähr gegenüber den Erstprognosen aus der Vorstufenuntersuchung sowie der Nutzen-Kosten-Untersuchung und liegen jetzt bei 26 bis 32,5 Millionen Euro. Die Planerinnen und Planer unterstellen allerdings eine umfassende Erneuerung des Gleiskörpers und nicht nur eine einfache Instandsetzung des bestehenden Schienenstrangs. Zwar haben Ehrenamtliche rund um die Lumdatalbahn AG und den Verein Lumdatalbahn e.V. sich über mittlerweile mehr als 25 Jahre hinweg der Herkulesaufgabe angenommen, den Verfall der Bahn zu stoppen, gegen die zunehmende Überalterung der Anlagen konnten sie aber nichts unternehmen.
Landrätin Anita Schneider hatte im Spätherbst 2020 im Bundesverkehrsministerium persönlich vorgesprochen, um neue Wege für die Finanzierung der Lumdatalbahn zu finden. Die bisherigen Förderkriterien bilden eine ausgesprochen hohe Hürde für die Reaktivierung von Bahnen im ländlichen Raum.
Karte mit Verlauf der Lumdatalbahn
In folgender Karte kann der zu reaktivierende Verlauf der Lumdatalbahn von Lollar nach Londorf interaktiv erforscht werden inklusive Scrollfunktion (blaue Linie):
Der neue Blick auf den Nutzen
Selbst im städtischen Umfeld scheiterten Bahnlinien – trotz offensichtlichem Bedarf nach besseren Verkehrsangeboten – regelmäßig an den NKU-Kriterien, beispielsweise die ehemalige Schienenstrecke von Darmstadt Ost nach Roßdorf und Groß Zimmern. Auch die Aartalbahn als „Vorortbahn“ der knapp 300.000 Einwohner zählenden Stadt Wiesbaden schaffte es bisher nicht, nach den standardisierten Kriterien als förderwürdig für den Eisenbahnbetrieb ohne die „Citybahn Wiesbaden“ eingestuft zu werden – obwohl volle Busse und regelmäßige Staus auf der Bundesstraße nebenan das Potenzial beweisen.
Unterstützt durch das Land Hessen erarbeiten Fachleute im Bundesverkehrsministerium daher angepasste Förderrichtlinien. Der Klimaschutz, der Schutz vor Überalterung ganzer Landstriche und die Entlastungsfunktion für die großstädtischen Wohnungsmärkte stecken dabei den Rahmen ab. Und die Lumdatalbahn hat nach Ansicht der Gießener Landrätin gute Chancen, mit Förderung des Bundes modellhaft zu zeigen, welches Potenzial in rostigen Schienen auf dem Land liegt.
Über den Verein Lumdatalbahn e.V.
Der Lumdatalbahn e.V. und seine Vorgängerorganisationen – Slogan: Eine gute Idee braucht einen langen Atem! – kämpfen seit Jahrzehnten für die Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Lollar und Londorf in Mittelhessen. Eine tägliche Zugverbindung zwischen Grünberg und Lollar gab es bis 1981. Bis 2016 konnte der Verein mehrere Sonderfahrten bis Mainzlar (mit einem Zwischenhalt) durchführen, und strebt an, als nächsten Schritt, erste Sonderfahrten an, die bis Allendorf gehen, anzubieten.
Ergänzende Texte, sowie historische und aktuelle Darstellungen des Streckenkörpers inklusive Zukunftsausblick, können auf lumdatalbahn.de gefunden werden.